Freitag, November 7, 2025
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Jessica Pratt: Eine musikalische Reise durch Los Angeles und die Schatten der Vergangenheit

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Jessica Pratt ist noch gar nicht aus dem Auto ausgestiegen, als sie schon gedanklich bei Thomas Mann ist. „Ich habe bisher nur Der Tod in Venedig von ihm gelesen,“ sagt sie, „aber das hat mich als Teenagerin nachhaltig geprägt. Es ist so schön und doch so verstörend.“ Die Musikerin, die im Osten von Los Angeles lebt, hat sich für das Interview mit ZEIT ONLINE einen besonderen Ort ausgesucht: das Thomas-Mann-Haus im Westen der Stadt, 70 Autominuten von ihrem Zuhause entfernt. Obwohl Pratt seit elf Jahren in Los Angeles wohnt, sieht sie sich selbst noch immer als Entdeckerin. „Viele historisch bedeutende Orte in L.A. sind sehr gut versteckt“, erklärt sie. „Man kommt nicht einfach zufällig vorbei. Man muss wissen, wo sich das Haus befindet, und dann hoffen, dass man hineingelassen wird.“

Seit der Veröffentlichung ihres vierten Albums Here in the Pitch scheint es in Los Angeles jedoch keine Tür mehr zu geben, die Jessica Pratt nicht offenstünde. Ihr Album wurde von Publikum und Musikpresse begeistert aufgenommen, und prominente Künstler wie Troye Sivan verwendeten ältere Stücke von Pratt in ihren eigenen Werken. Selbst Chanel griff auf ihre Musik für eine Modenschau zurück. Ihre Konzerte in Nordamerika und Europa sind ausverkauft, und kürzlich trat sie in der Hollywood Bowl an der Seite von Beck Hansen auf. Ein weiterer Höhepunkt ihrer Karriere ist ihre erste Zusammenarbeit auf Tonträger mit dem Rapper Asap Rocky und dem Grammy-Gewinner Jon Batiste für den Song Highjack.

Pratts Karriere erzählt die Geschichte eines Aufstiegs zu ihren eigenen Bedingungen. Aufgewachsen in Redding, einer konservativen Stadt nördlich von San Francisco, hatte sie ursprünglich keine Ambitionen, ihre Songs zu veröffentlichen, die sie seit ihrer Teenagerzeit geschrieben hatte. „An so etwas wie die Zukunft habe ich überhaupt nicht gedacht,“ sagt sie. Doch Freundinnen drängten sie dazu, ihre Musik mit anderen zu teilen. „Für diese Freundinnen habe ich meine Songs dann auch aufgenommen. Ich wollte sie für die Ewigkeit festhalten, glaubte aber nicht, dass sie jemals ein größeres Publikum finden würden.“

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Zwei Wochen nach der Veröffentlichung ihres selbstbetitelten Debütalbums im Jahr 2012 hatte sie bereits alle 500 gepressten LPs verkauft. Kurz darauf zog sie nach Los Angeles – ein Schritt, der nicht nur aus künstlerischen Gründen erfolgte. Ihre Mutter war gerade verstorben, eine langjährige Beziehung war zu Ende gegangen, und Pratt suchte nach einem Neuanfang. Ohne Führerschein und ohne viele Kontakte wagte sie den Umzug in die Stadt der Autofahrer. „Ich stand unter Schock,“ erinnert sie sich. „Sonst hätte ich das nie gemacht. In Los Angeles braucht man eigentlich ein Netzwerk und eine solide Grundlage, um zu überleben.“

Den Führerschein hat Pratt bis heute nicht gemacht, doch sie hat viele Freunde gefunden. Ihr Lebensgefährte und langjähriger Mitmusiker Matt McDermott fährt sie zum Interview nach Pacific Palisades. Auch Los Angeles selbst ist Pratt ans Herz gewachsen und dient ihr als unerschöpfliche Inspirationsquelle. „Als ich in L.A. ankam, bin ich einfach stundenlang spazieren gegangen,“ erzählt sie. „Oder ich habe den ineffizienten Nahverkehr genutzt und mich von Bus zu Bus durch die Stadt gehangelt.“ Selbst eine rissige Wand mit einem Müllhaufen davor könne in Los Angeles inspirierend wirken, so Pratt. „Wie das Licht hier alles in Szene setzt und Schatten wirft: Das verleiht Los Angeles seine surrealen Texturen.“

Diese Spannung zwischen Licht und Schatten, zwischen Glanz und Düsternis, prägt auch Pratts Musik. Schon auf ihrem ersten Album, das noch vor ihrem Umzug nach L.A. entstand, sind die Elemente zu hören, die ihren Sound ausmachen: ein flüsternder Gesang, bluesige Gitarrenklänge und Texte, die trotz minimalistischer Instrumentierung eine intime Atmosphäre schaffen. Im Laufe der Jahre hat Pratt diesen Stil weiter verfeinert. Auf Here in the Pitch spielt sie mit Bossa-Nova-Rhythmen, die sich wie verblasste Erinnerungen eines früheren Los Angeles über ihre Songs legen. „Während der Aufnahmen habe ich unter anderem Bücher über das Los Angeles der 1960er-Jahre gelesen,“ sagt Pratt. „Dazu gehörten auch einige über Charles Manson und seinen Kult.“

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Wer diese Lektüre als unpassend empfindet, betrachtet sie nur oberflächlich. Jessica Pratt mag zurückhaltende Songs schreiben, die manchmal als Schlaflieder bezeichnet werden, doch hinter ihren Stücken verbergen sich präzise Beobachtungen einer Stadt und eines Landes, das sie als zunehmend paranoid empfindet. Orte und ihre Geschichten prägen diese Beobachtungen ebenso wie Pratts eigene Erfahrungen. „Deshalb wollte ich das Interview unbedingt im Thomas-Mann-Haus führen,“ erklärt sie. „Einen solchen Ort zu entdecken und seine Geschichte zu erforschen, ist wirklich faszinierend.“

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Peter Meisner
Peter Meisner
Peter Meissner, 35 Jahre alt, ist freiberuflicher Online-Redakteur aus Hamburg. Er schreibt als Freelancer für zahlreiche Online-Magazine zu unterschiedlichen Themenbereichen. Durch seine Leidenschaft für das Reisen sammelt er weltweit Eindrücke und Inspirationen, die er in seine journalistische Arbeit einfließen lässt.

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